2018/04/05 Albumrezension: Thirty Seconds To Mars – America

Ein bisschen politischer Widerstand – und ganz viel musikalische Anpassung

Wir hatten die Gelegenheit, vorab in den heiß erwarteten neuen Longplayer America von Thirty Seconds To Mars reinzuhören. Darin führen sie ihren Weg vom Alternative Rock hin zum Mitsing-Pop konsequent fort. Mit ein bisschen Stimmung gegen Trump, Oh-Oh-Oh-Refrains und pseudo-düsteren Liebesliedern treffen sie damit genau den Massengeschmack – und entfernen sich endgültig vom sinkenden Schiff der guten alten Rockmusik.

Einer der beiden aussagekräftigsten Songs steht gleich zu Beginn des Albums. Die vorab veröffentlichte Single Walk On Water ist politischer Mitsing-Pop, der sich toll in Stadien oder auf Anti-Trump-Demos machen wird. Der Song adressiert niemand Geringeren als Donald Trump: „Do you believe that you can walk on water / Do you believe that you can win this fight tonight?“ In Hail To The Victor gehen die Kalifornier rund um Frontmann Jared Leto sogar noch einen Schritt weiter. Zu verfremdeten Gitarrenschreien singt er anlässlich des Wahlsieges von Trump: „I swear on heaven and hell / This is my revenge / Thank God high up above / This is not the end / My friend it’s not the end“.

Und sonst? Klingt die Band austauschbar und massenkompatibel wie nie. Einige der Songs könnten auch Imagine Dragons oder One Republic performen, es würde nicht auffallen. Klar, da sind die äußerst eingängigen Mitsing-Hooklines mit Ohrwurmgarantie. Aber rockige Drums und verzerrte Gitarren? Schnee von gestern, die Songs sind mit schicken Beats, Synthie-Teppichen, massivem Gebrauch von Autotune und Chören auf Hochglanz poliert. Da gibt es Trap-Anleihen, hochgepitchte Vocals und Synthie-Teppiche, die auch Justin Bieber gut zu Gesicht stehen würden.

Die Songs Rescue Me, Love Is Madness oder One Track Mind sind gut produzierte und leicht bekömmliche Popsongs mit R&B- und Electro-Anleihen. Lediglich mit Remedy und in Ansätzen Live Like A Dream lässt die Band zum Schluss des Albums noch ein wenig nostalgische Bezüge zu ihren Wurzeln erkennen, bevor der Longplayer mit dem schwülstigen Bombast-Trailer-Track Rider ausklingt und einen ratlos zurücklässt.

Ist das alles noch Rebellion und wilder Ungestüm, Ausdruck von Subversivität oder Individualität? Nein, der austauschbare Major-Hochglanzsound geht ganz bewusst mit dem Zeitgeschmack. Da ist glattgebügelt worden, was nur im Entferntesten als nonkonform empfunden werden könnte. Denn Thirty Seconds To Mars, eine der großen Stadion-Rockbands der 2000er, bringen noch eine ganz andere Botschaft mit sich: Rock ist tot. Ein sinkendes Schiff, das sie bereitwillig verlassen. Wohin? Ganz egal. Hail To The Victor!

Anspieltipps: Walk On Water, Great Wide Open, Hail To The Victor, Remedy

 

 


2018/03/06 Albumrezension: Vance Joy – Nation Of Two

Akustikklänge aus Down Under

Wie klingt handgemachte Popmusik im Jahr 2018? Wenn man sich mit dieser Frage beschäftigt, führt momentan kein Weg am australischen Singer-Songwriter-Shootingstar Vance Joy vorbei, der jüngst seinen neuesten Longplayer Nation Of Two vorgelegt hat. Nach dem großen Erfolg seines Debütalbums Dream Your Life Away (2014) und der Single Riptide legt der Australier nach 4 Jahren sein zweites Album vor. Darin singt er über Themen wie Homecoming, Verliebtsein, aber auch verflossene Liebe, Trennung und Verarbeitung schmerzender Vergangenheit.

Das Album startet sanft und malerisch, bevor sich einige dynamische Nummern mit hymnischen Refrains anschließen, darunter die Singleauskopplung Lay It On Me. Mit Bläsereinsätzen, Chören und dem Einsatz des Banjo halten auch Folk-Elemente und Power Pop Einzug, aber letztlich überwiegen doch die ruhigen Gitarrenballaden.

Die Single Lay It All On Me ist ein folkiges Singer-Songwriter-Stück mit aufgehendem Refrain und Chören. Auch in Saturday Sun vermischen sich Latin-Elemente mit Bläsereinwürfen zu einer schönen Frühlingshymne. Like Gold ist einer der stärksten Songs des Albums. Er erzählt von Erinnerungen an eine gescheiterte Liebe, deren Glanz immer noch leuchtet und eine leise Hoffnung hinterlässt. Der melancholische Song öffnet sich mit Chören und großen Drums im Chorus Richtung Indie-Pop und endet doch ganz zurückgezogen.

Der Longplayer lässt nach hinten heraus leider nach. Es gibt einige Songs, die wie uninspirierte Aufgüsse vergangener Glanzzeiten klingen. Es ist dann doch eine zähe Ballade zu viel (Alone With Me, Crashing Into You), was den guten Eindruck der ersten Hälfte des Albums schmälert. Alone With Me erinnert unnötigerweise durch Melodieführung und Produktion an sehr bekannte Ed-Sheeran-Balladen und kann trotz netten Streicherarrangements nicht recht zünden. In One Of These Days klingt Vance Joy wie eine Mischung aus 90er-Brit Pop und kanadischem Power Pop mit großem Chor-Refrain. Dennoch überzeugt die Mischung nicht.

Doch mit Bonnie & Clyde, einer musikalischen Hommage an große Singer-Songwriter-Zeiten mit folkigem Einschlag, kehrt die Hoffnung noch einmal zurück. Der eingängige Gitarrenlick begleitet Vance Joys Gesang über das Loslassen von Vergangenem und dem Beschreiten neuer Wege und ist einer der überzeugendsten Songs des Albums – und einer der reifesten: Don’t matter where you’ve been / You jump into the water and you come out clean .

Vance Joys ehrlicher Gesang klingt stets authentisch und rund. Die 13 Songs von Nation Of Two klingen denn auch erwachsener und reifer als der Erstling Dream Your Life Away. Die Naivität ist ein Stück weit verschwunden, aber auch die Unbekümmertheit. Die Indie- und Folk-Elemente sind immer noch da, sorgen jetzt aber eher für epische Breite als Partyfeeling. Zusammen mit dem etwas tieferen Gesang Vance Joys ergibt das ein Bild eines gereiften, aber auch ernüchterten Künstlers. Der Schwung des ersten Albums ist dahin. Ob das reicht, wird sich zeigen. Schöne Momente sind allemal genug vorhanden und verleiten einen zum Abschalten, Wegträumen oder Dahinschmelzen.

Anspieltipps: Saturday Sun, Like Gold, Bonnie & Clyde